Erinnerungskultur: Gestern – Heute – Morgen

https://twitter.com/matahari_etc/status/999592427253100544

Ein paar schnelle Gedanken zu Demokratie und Erinnerungskultur in Anwesenheit zur Migration Gezwungener.

Wir sollten uns angesichts der demokratischen Krise, in der wir uns befinden, überlegen warum es wieder den Ruf nach dem starken Mann gibt, warum Führerkult wieder gesellschaftsfähig geworden ist und wie aktuelle Erinnerungskultur im Kampf dagegen hilfreich sein könnte.

Die Zustimmung zur Demokratie sinkt, vielleicht gerade weil wir das Glück haben in einer langen Phase des Friedens zu leben. Gleichzeitig steigt die Zahl der antisemitischen wie rechtsextremen Übergriffe massiv an.

Es stellt sich die Frage, wo beginnt ?

Wir leben in einer Migrationsgesellschaft mit Schüler_innen, die vielfach andere Bezüge zur Zeitgeschichte herstellen als Schüler_innen, deren Urgroßeltern am Nazi-Regime teilgenommen haben oder ihre Opfer wurden.

Zu wenig wird etwa auf die Geschichte des 2. Weltkrieges am Balkan oder in der Türkei eingegangen. Korrigiert mich, Lehrer_innen an NMS, aber wo wird etwa Ustaša und die türkische Kollaboration mit den Nazis als Stoff behandelt?

Anders als mit den Generationen freiwilliger Migration stellt sich die Frage, wie erinnern mit den Neuangekommenen aus Kriegsgebieten, die vor faschistischen Terrorregimen, wie dem IS geflohen sind oder vor den Taliban aus Afghanistan?

Die Frage “Was hat das mit mir zu tun” stellt sich in diesem Kontext anders und ist schmerzlich aktuell. Wir müssen uns als postnazistische Gesellschaft dieser unangenehmen Frage zu wenden und könnten auf zweierlei Ebene demokratiepolitisch gewinnen.

Wir könnten in Konfrontation mit den Verfolgungserfahrungen Geflohener erkennen, dass auch wir verletzlich sind und verletzen können. Wir könnten in solidarischer Auseinandersetzung erfahren, was der Verlust des Rechtes auf ein sicheres Leben bedeutet.

In Frieden leben ≠ selbstverständlich

Umgekehrt könnten Neuangekommene mit unserer Konsequenz aus der Tätergeschichte Österreichs erkennen, dass Grundrechte zu verteidigen sind. Dass Verfolgung aufgrund religiöser, homophober, politischer, … Gründe zum größten menschlichen Terror unserer Geschichte führten.

Dass wir keine Intoleranz dulden werden.

Leider sind wir selbst weit davon entfernt und wir gehen in die falsche Richtung. Dennoch bin ich der Meinung, dass gerade jetzt die Zeit ist, nicht nur mit Jugendlichen, sondern auch mit Erwachsenen Auseinandersetzungen zu den jeweiligen Zeitgeschichten zu führen.

Menschen, die vor faschistoiden Regimen geflohen sind, können sehr wohl Verbindungen mit unserer Zeitgeschichte herstellen und somit könnte auch neuem Antisemitismus entgegen gewirkt werden.

Dass es umgekehrt noch nicht so klappt, ist spätestens seit der Köhlmeier Rede bekannt.

Zwei Hinweise, die Sendung “Und was hat das mit 2018 zu tun?” von , die diesen Thread inspiriert hat und das Projekt “Und was hat das mit mir zu tun?” von trafo-k

Ich bin überzeugt, dass gerade demokratiepolitische Kunst- und Kulturvermittlung einen wichtigen Beitrag leisten könnten, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Frieden zu stärken. Dafür braucht es bildungspolitische Einsätze. Ist da jemand?

A shrimp in the synagogue

Going to the chapel. Ein Rant über “Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Scheinehen ins Exil”

Auf Vernissagen geht mensch meist weniger um eine Ausstellung zu sehen. Neben dem Inhalt der Eröffnung lockt das Ansinnen Freund_innen wieder zu sehen, zu netzwerken und ein Glas zu trinken.

In Zeiten, da Regierende nicht unterscheiden können zwischen verweigerter Fluchthilfe und Nazitäterschaft ist eine Ausstellung zum Thema Schutzehen erstaunlich und begrüßenswert.

Die Ausstellung “Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Scheinehen ins Exil” zeigt eine der vielen Strategien auf, mit denen Verfolgte versuchen ihr gefährdetes Leben zu retten. http://www.jmw.at/de/exhibitions/verfolgt-verlobt-verheiratet-scheinehen-ins-exil

Erstaunlich und zum Ärgernis einiger Anwesender gereichte jedoch die Einladungspolitik des jüdischen Museums. Der Vertreter des Sponsors Raiffeisen meinte wohl auf die Frage seiner Frau hinweisen zu müssen, was denn die Bank mit Scheinehen zu tun habe. Nämlich nichts.

Tu felix Austria nube… Nie gehört? Oder vielleicht Raiffeisen traditionell im bäuerlichen Milieu nie etwas von arrangierten Ehen gehört? Schein-, Schutz-, Zwangsehen haben immer nur die anderen. Natürlich.

Chuzpe hatte dann aber wirklich Herr Sobotka, der in einer Reihe von ÖVP Innenminister_innen direkt verantwortlich für die Verschärfungen sowohl im NAG (Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht) als auch im Asyl- und Fremdenrecht ist.

Mit salbungsvollen Worten sprach er über die durch solidarische Eheleute geretteten Juden und Jüdinnen. Was würde er wohl zu Annoncen wie diesen sagen, würden sie heute in einer österreichischen Zeitung erscheinen?

“Mata, du kannst doch nicht schon wieder heute mit gestern vergleichen!” Oh dear, es geht nicht um Vergleiche. Niemand konnte 1938/39 wissen, dass die Nazis die industrielle Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas durchsetzen würden.

Aber nicht nur die unmittelbar Betroffenen konnten sehr wohl sehen, dass es um ein konkretes Leben, um ein konkretes gefährdetes Leben ging. Es geht nicht um vergleichen, es geht wie auch beim Schließen von Fluchtrouten, um Konsequenzen aus der Geschichte der Shoa.

Das Erschweren von Schutzehen ist der “Verdienst” von Innenminister_innen wie Sobotka, der es sich nicht nehmen ließ, zwischen jenen solidarischen Menschen eine Grenze zu ziehen, die für die Eheschließung Geld nahmen und jenen, die es sich leisten konnten, dies nicht zu tun.

Dieser Sobotka, ÖVP darf ungestört bei einer Vernissage im jüdischen Museum sprechen, in einer Ausstellung, die zB. die Geschichte von Hilde Meisel erzählt, einer Widerstandskämpferin, die einen schwulen Schotten heiratete.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In ihrem Fall hatte womöglich der solidarische Künstler John Olday ein Interesse daran als heterosexuell zu gelten, umgekehrt gab es für lesbische und schwule Jüd_innen überhaupt keine andere Möglichkeit zu einem Schein zu kommen außer über eine Schutzehe.

Reden wir doch mal über Scheinbeziehungen, die bis heute von ÖVP und FPÖ Politiker_innen eingegangen werden, um ihre Homosexualität zu verbergen. In einer Situation, in der es nicht um Schutz, sondern um pure Macht geht.

Dieser Sobotka, höchster Repräsentant des österreichischen Parlaments, jener ÖVP, die sich gerade in Koalition mit der FPÖ befindet, darf also zum Thema Schutzehen eine Ausstellung im jüdischen Museum eröffnen. Uns gereichten leider nur offene, erstaunte Münder.

Oder wie es ein jüdischer Freund formulierte: “It’s like bringing a shrimp to the synagogue!”